Silvan Brun: "Frau Bongartz, führt man durch die positive Bewertung naturtrüber Öle beim IOOA Konsumentinnen und Konsumenten nicht auf eine falsche Fährte bei der Suche nach Qualitätsolivenöl?"
Annette Bongartz: "Sehr geehrter Herr Brun, ich darf Ihre Frage ganz klar verneinen. Bei den Degustationen zum „Olive Oil Award“ (www.oliveoilaward.ch), werden alle Öle gleich behandelt - egal ob filtriert oder ungefiltert. Unser Fokus beim Wettbewerb liegt auf der Beschreibung und Bewertung der sensorischen Eigenschaften aller teilnehmenden Öle zum Zeitpunkt der Degustationen. Diese finden jeweils im März eines Jahres statt, d.h. ca. 4-6 Monate nach Ernte und Herstellung der Öle. Für die Bewertung der Öle gibt es klare Vorgaben, an die wir uns halten. Dies sind insbesondere die aktuell gültige Richtlinie der EU: VO (EWG) 1348/2013 (Änderung der VO (EWG) 2568/1991), in der die sensorische Bewertung und die Klassifizierung von Olivenöl (Panel Test) genau beschrieben sind. Mittels Panel Test ist einzig die Frage zu klären, ob ein Öl „extra nativ“ ist oder nicht ... – nicht mehr und nicht weniger. Der Aspekt der Filtration spielt dabei keinerlei Rolle.
Im Rahmen der Degustationen zum „Olive Oil Award“ werden durch das Schweizer Olivenölpanel (SOP) jedoch weitere, zusätzliche Kriterien evaluiert, welche geeignet sind, die sensorische Qualität der Öle, über die reine Klassifizierung hinaus, einzuschätzen. Z.B. wird die aromatische Ausprägung der Öle beschrieben und es wird ausserdem eine Bewertung der Harmonie und Dauerhaftigkeit der Öle vorgenommen. Die Evaluation dieser Kriterien ist Bestandteil einer Methodik, welche im Rahmen der Akkreditierung unserer Prüfstelle (STS 0240) validiert wurde. Sie ist somit als Methode der (objektiven) sensorischen Analytik anerkannt. Mehr über diese Methode, z.B. die genauen Definitionen der Bewertungskriterien, etc., können Sie z.B. unserer Veröffentlichung im Journal of Agricultural Science and Technology aus dem Jahr 2011 mit dem Titel Sensory evaluation of extra virgin olive oil (EVOO) - extended to include the quality factor „harmony“ entnehmen (Bongartz, Oberg, 2011). Gern lege ich das Paper meiner Stellungnahme bei. Ausserdem ist es über unsere Homepage www.oliveoilaward.ch (dort unter „Publikationen“) frei zugänglich.
Und nun nochmals zurück zu Ihrer Frage: Ob nun ein Öl filtriert oder aber ungefiltert (d.h. trüb) ist, darf uns vor dem Hintergrund der rechtlichen Regelungen, die existieren bei der sensorischen Beschreibung und Bewertung von Olivenölen, gar nicht interessieren. Zu einem Zeitpunkt „x“ wird ein Öl degustiert und in seiner sensorischen Ausprägung charakterisiert. Auf dieser Grundlage werden die Prämierungen im „Olive Oil Award“ ausgesprochen. Und so wurde auch die „Goldene Olive“ für das Öl „El Empiedro“ (80% Hojiiblanca, 20% Picuda) aus der Region Cordoba in Spanien vergeben. Das Öl entstammt der DOP Region „Priego de Cordoba“, wurde kalt gepresst und ist als nicht filtriertes Öl auf dem Markt. Die Haltbarkeit wird vom Produzenten bis Mai 2016 angegeben. Die sensorischen Eigenschaften waren zum Zeitpunkt der Degustation im März 2016 aussergewöhnlich - daher wurde es mit der Goldenen Olive ausgezeichnet – und sind es immer noch ! Dies haben wir erst gestern festgestellt. Warum sollte man also für ein Öl, welches einen Harmoniewert von 8.0 aufweist, und somit seines gleichen sucht, keine Kaufempfehlung aussprechen ? Für uns ist das nicht nachvollziehbar ...
Dass ein Öl, und das gilt für jedes Olivenöl, aber einem Alterungsprozess unterliegt und unter Umständen auch vor Ablauf der vom Produzenten angegebenen Haltbarkeitsfrist ungewünschte Veränderungen durchläuft und ggf. sogar Fehler entstehen ist denkbar. Dies kann bei nicht filtrierten Ölen der Fall sein, ebenso wie bei filtrierten Ölen.
Festzuhalten ist, dass Partikel der Olivenfrucht, welche nach dem Pressen der Oliven nicht aus dem Öl filtriert werden, natürlich „Angriffsfläche“ für unerwünschte Oxidations- oder auch Fermentationsprozesse bieten. Tatsächlich kann es also bei ungefilterten Ölen, welche eine Trübung und einen Bodensatz aufweisen, nach einer gewissen Zeit zu einer sensorischen Veränderung kommen. Insofern kann man die Filtration durchaus als Schritt in der Herstellung von Olivenöl bezeichnen, der sich positiv auf die sensorische Haltbarkeit von Olivenöl auswirkt. Dieses Wissen ist auch durchaus wichtig für den Konsumenten. Was man aber nicht tun darf, ist deshalb den Umkehrschluss zu ziehen, dass nicht filtrierte Öle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – so hatten Sie es ja formuliert Herr Brun – innert kürzester Zeit verderben. Das ist aus meiner Sicht unlauter und würde – so meine Erfahrung - sehr vielen nicht filtrierten Olivenölen höchster Qualität nicht gerecht werden. Frage: Beruht denn Ihre Aussage auf eigenen Studien oder empirischen Beobachtungen ? Ein Fehler wie „muddy-sediment“, wie Sie ihn in Ihrer Aussage antizipieren, würde normalerweise ja durch den Kontakt des Öls mit Dekantier-Schlämmen aus einem alten resp. ungewaschenen Tank entstehen, welche eine anaerobe Gärung durchlaufen haben (Definition gemäss COI). Die Trubstoffe im diskutierten Öl nun mit derartigen Dekantier-Schlämmen gleichzusetzen ist unserer Meinung nach nicht korrekt. Technologisch betrachtet hat vermutlich eine Sedimentation von Partikeln (Fruchtfleisch) im Tank stattgefunden. Durch einen Überlauf wurden die groben Trubstoffe vor dem Abfüllen vom Öl getrennt. Lediglich der Schritt der Filtration hat, im Vergleich zum Prozess bei filtrierten Ölen, dann nicht stattgefunden.
Anmerkung: Ein Review von Lozano‐Sánchez et al. aus dem Jahr 2010 hat relevante Studien zusammengefasst und stellt fest, dass man keine ganz eindeutige Antwort auf die Frage geben kann, ob Filtration zu befürworten oder abzulehnen ist. Einige Studien befürworten ungefiltertes Öl. Als Erklärung wird hier angeführt, das Olivenöl phenolische Verbindungen enthält, welche ‐ als starke Antioxidantien ‐ einen höheren Schutz vor Oxidation in einer Wasser‐in‐Öl‐Emulsion bieten. Durch das Filtern wird der Wassergehalt in der Emulsion reduziert, was dazu führen kann, dass die wasserlöslichen Phenole mit der Filtration zum Teil entfernt werden. Andere Studien präferieren die Filtration. In ungefilterten Ölen ist der Anteil an polaren Stoffen höher. Diese können ‐ wenn auch erst nach mehrmonatiger Lagerung – den Gehalt an freien Fettsäuren, die sensorischen Eigenschaften sowie die Bildung von einfachen Phenolen negativ beeinflussen. Das Fazit von Lozano‐Sánchez et al. legt als abschliessende Empfehlung aber die Filtration nahe, um die Qualität eines nativen Olivenöls auch längerfristig zu gewährleisten.
Im Rahmen der Degustationen zum „Olive Oil Award“ verlassen wir uns auf die sensorische Wahrnehmung der Eigenschaften von Olivenöl, welche zum Zeitpunkt der Degustation vorliegen. In irgendeiner Form „visionäre“ Aussagen oder Hypothesen aufzustellen, welche nicht auf eine „echte“ Degustation mit einem trainierten sensorischen Panel gestützt sind, kommen für uns nicht in Frage. Eine „Garantie“ für die zukünftige überragende Qualität von Olivenölen (z.B. in 6, 12, 18 Monaten) können wir logischerweise nicht übernehmen, was aber ganz sicher auch nicht die Aufgabe eines Olivenölwettbewerbs sein kann ... und soll!"
Silvan Brun: "Frau Bongartz, in meinen Augen korrespondiert das Bewertungsverfahren beim IOOA nicht
mit jenen von anderen internationalen Wettbewerben. Warum nicht?
Annette Bongartz: "Sie sagen, dass das Bewertungsverfahren des IOOA nicht mit den Bewertungsverfahren anderer Wettbewerbe korrespondiert und gar „eigenwillig“ sei. Hierzu ist zunächst festzuhalten, dass wir einen Vergleich zu anderen methodischen Bewertungskonzepten bei anderen Veranstaltungen leider kaum ziehen können, da die wenigsten Wettbewerbe, anders als der Olive Oil Award, ihr Bewertungsverfahren völlig transparent und öffentlich darstellen. Da das Bewertungsverfahren des IOOA aber veröffentlicht ist, bietet es – das liegt in der Natur einer offenen Kommunikation - natürlich auch Potential, einzelne Punkte kritisch zu hinterfragen. Unser Ziel ist es, transparent zu agieren und offen zu kommunizieren - insofern stellen wir uns Ihren kritischen Fragen gerne!
Da die verschiedenen Bewertungsverfahren, mangels ausreichender Kenntnis der genauen Methoden anderer Wettbewerbe, also kaum vergleichbar sind, bieten aus unserer Sicht derzeit einzig die prämierten Öle einen Ansatzpunkt für direkte Vergleiche zwischen den verschiedenen Wettbewerben. Natürlich ist aber der „Pool“ der bewerteten Öle nicht bei allen Wettbewerben derselbe, was den Vergleich leider nicht einfacher macht ... – versucht man hier aber dennoch in die Tiefe zu gehen, finden sich tatsächlich keine / kaum Öle, welche beim IOOA einen Preis erlangt haben und bei anderen Wettbewerben nicht. Das ist schon mal eine Tatsache !
Zu den von Ihnen aufgeworfenen Fragen, kann ich Ihnen folgende Antworten geben:
ad 1.
Im Rahmen des Olive Oil Award werden alle Olivenöle nach Intensität der Fruchtigkeit eingestuft. Die Einteilung erfolgt nach den Vorgaben der EU und des COI, d.h. es gibt leichte Öle, Öle mittlerer Intensität und intensive Öle. Was wir nicht tun, ist die Intensität der Öle und die Fruchtigkeit der Öle separat zu bewerten. Es ist ein und dasselbe Bewertungskriterium. Die Ergebnisdarstellung in Form einer Skala ist jedoch eine grafische Vereinfachung der detaillierten Ergebnisse aus der sensorischen Evaluation / Profilierung der Öle. Wir geben dem Leser / Konsumenten anhand der drei-teiligen Skala „Intensität“ zunächst eine Information über die Intensität der Öle, gemäss Einteilung nach EU und COI. D.h. ein Öl, bei dem 2 Skalen-Felder eingefärbt wurden, ist als „mittel“ zu interpretieren, eines mit drei durchgefärbten Feldern als intensiv. Die 10-stufige Skala „Fruchtigkeit“ gibt dann eine zusätzliche, aber detailliertere Information über die Intensität der Fruchtigkeit der Öle, welche tendenziell aber natürlich mit der gröberen Einteilung (leicht, mittel, intensiv) in Übereinstimmung steht. Leicht vorstellbar ist, dass der Übergang zwischen den Kategorien „mittel“ und „intensiv“ recht eng beieinander liegt. Insofern sind die vermeintlich „ähnlichen“ Ergebnisse bei der Bewertung der Intensität der Fruchtigkeit auch zu verstehen. Irgendwo muss die Grenze gezogen werden – das ist einfach so.
Was Sie in Ihrem Statement oben aber mit „grossen“ Unterschieden in „gleichen“ Kategorien meinen ist mir leider nicht klar. Vielleicht können Sie dies noch etwas näher erläutern ?
ad 2.
Es ist völlig korrekt, dass die Bewertung der „Harmonie und Dauerhaftigkeit“, so wie im „Olive Oil Award“ eingesetzt, kein Bewertungskriterium des COI oder der EU ist. Der Begriff der Harmonie wurde erstmals im Jahr 2011 als sensorische Methode für die Evaluation von Olivenöl beschrieben. Ich hatte bereits weiter oben auf den Artikel mit dem Titel Sensory evaluation of extra virgin olive oil (EVOO) - extended to include the quality factor „harmony“ hingewiesen. Erschienen ist der Artikel im Journal of Agricultural Science and Technology im Jahr 2011 (Bongartz, Oberg, 2011). Im Artikel wird beschrieben, dass die Harmonie das Ausmass der Ausgewogenheit aller positiven Charakteristiken eines Olivenöls umfasst. Darunter sind zunächst die Attribute gemeint, welche auch beim Panel Test evaluiert werden, also Fruchtigkeit, Bitterkeit und Schärfe. Aber natürlich ist, innerhalb der Fruchtigkeit, auch die Ausprägung und das Zusammenspiel verschiedenster Aromen nach Art und Intensität ein relevanter Faktor. Insofern wird das Vorhandensein sowie die Komplexität aller gustatorischer, olfaktorischer als auch taktiler und kinästhetischer Reize werden für die Harmoniebewertung auf einer 10er Skala beurteilt. Das Paper ist es über unsere Homepage www.oliveoilaward.ch (dort unter „Publikationen“) frei zugänglich. Im Artikel ist eindeutig beschrieben, wie dieser Wert – auch statistisch – zustande kommt. Die Methodik ist validiert und Teil unserer akkreditierten Prüfstelle (STS 0240).
Anmerkung zu den von Ihnen erwähnten Beispielen / Ölen: Die Ausgewogenheit der Attribute Bitterkeit und Schärfe im Vergleich zur Fruchtigkeit ist bei beiden von Ihnen angesprochenen Ölen gegeben. Jeweils nur auf verschiedenen Intensitätsstufen. Wie Sie der Definition der Harmonie entnehmen können, geht es neben der von Ihnen angesprochen Ausgewogenheit zwischen Fruchtigkeit, Bitterkeit und Schärfe aber zusätzlich auch um das Zusammenspiel und die Ausprägung der Aromatik. Beide Öle weisen eine komplexe Aromatik auf (nicht grafisch dargestellt) – im Grad der Ausgewogenheit und Ausprägung liegt das Öl El Empiedro aber im Vergleich zu Oro Bailén leicht vorn. Grundsätzlich ist festzuhalten, dass es sich in beiden Fällen um hervorragenden Öle handelt. Der effektive Unterschied auf unserer Harmonie-Skala beträgt lediglich 0.7. Aber auch hier gilt, dass irgendwo die Grenze gezogen werden muss.
Ihre Vorstellung von „Eigenwilligkeit“ oder gar „Willkürlichkeit“ bei der Bewertung der Harmonie und Dauerhaftigkeit weisen wir somit entschieden zurück ! Gemäss Duden bedeutet das Wort Willkür
übrigens „die allgemein geltenden Massstäbe, Gesetze, Rechte, Interessen anderer missachtend“ resp. „an den eigenen Interessen ausgerichtetes und die eigene Macht nutzendes Handeln bzw.
Verhalten“. Beides trifft definitiv nicht zu ! Wir dürfen an dieser Stelle vielmehr deutlich hervorheben, dass wir uns als objektiv tätiges Olivenölpanel, welches vom COI anerkannt ist und
regelmässig durch internationale Ringversuche überprüft wird, in keinster Weise an den eigenen Interessen orientieren, sondern der Qualität des Olivenöls und der Unabhängigkeit der Hochschule für
die wir tätig sind, verpflichtet fühlen.
Ich denke aus den obigen Ausführungen wird klar, dass die im Rahmen des „Olive Oil Award“ angewendete Methodik transparent, nachvollziehbar und objektiv ist. Ihre Aussage, dass unser Bewertungsverfahren „eigenwillig“ sei, ist somit wirklich hinfällig – es sei denn man würde diese „Eigenwilligkeit“ als „Einzigartigkeit“ interpretieren und damit hervorheben wollen, dass der „Olive Oil Award“ durchaus ein Wettbewerb ist, der sich erstens mit anderen Wettbewerben messen kann und zweitens auch einige Vorteile und Vorzüge hat - ... z.B. den Einsatz des langjährig trainierten Panels (SOP) bestehend aus mindestens 8 Panellisten, statt 3-4 Einzelprüfern, wie in manchen anderen Wettbewerben. Daneben beruht die komplette Prämierung auf dem zu Grunde liegenden Panel-Test (EU/COI), ergänzt durch eine eigens validierte Bewertungs-Methode, welche die Aromabeschreibung und Harmoniebewertung inkludiert. Alle Teilnehmer erhalten einen detaillierten Prüfbericht über ihr(e) Öl(e) und „last but not least“ werden – unabhängig von der Prämierung auch noch Konsumentenmeinungen zu den Ölen eingeholt, welche den Teilnehmern zur Verfügung gestellt werden."