Ein wegweisendes Jahr geht zu Ende. Ein Jahr, das es olivenöltechnisch in sich hatte. 2016 beinhaltete ziemlich alles, was ein dramatisches Olivenöljahr ausmacht. Ein zu warmer Winter und ein zu feuchter Sommerbeginn in Europas Süden, das Inkrafttreten des neuen Olivenölgesetzes in der Schweiz, Verurteilungen namhafter Grossabfüller wegen Falschetikettierung in Italien, ein suspektes Ergebnis beim Olivenöltest im Kassensturz, die Olivenfliegenplage in ganz Italien und in Griechenland, das Abstrafen von Grossabfüllern in der Sendung Patti Chiari des RSI sowie der Initialschritt Manors zur Veränderung des Schweizer Olivenölmarktes.
Zuwarten bis zum Knall
Mit "äusserst turbulent" könnte man das Jahr wohl am besten beschreiben, denn das, was sich in den vergangenen zwölf Monaten in Bezug auf Olivenöl ereignet hatte, ist rekordverdächtig. Nie war die Szene in einer solchen Umbruchstimmung, wie sie es heute ist. Gezwungenermassen. Denn vor 2016 hat sich zu lange nichts getan, die Industrie hat sich ausgeruht und die Politik hat das getan, was sie am besten kann, sich vor der Verantwortung ihren Bürgern gegenüber drücken. Das ging lange gut. Sehr gut sogar. Grossabfüller und Grossverteiler konnten mit Olivenöl satte Gewinne einfahren, während die Politiker und Lebensmittelsicherheitsbehörden eine ruhige Kugel schoben. Alle hatten ihren Frieden. Jeder kriegte seinen Anteil vom Kuchen. Keiner stritt. Niemand schrie nach Veränderung. Bis auf eine kleine Gruppe. Eine kleine, dezentral organisierte, internationale Gruppe, bestehend aus unabhängigen Olivenölexperten und Konsumentenschutzorganisationen, erstarkte soweit, dass Politik und Handel aufhorchten und die Mitglieder der Gruppe gar an den grünen Tisch einluden. Die Erstarkung dieses internationalen Experten- und Konsumentenschutznetzwerks hatte zur Folge, dass namhafte Grossabfüller in Italien für ihre Schandtat der vorsätzlichen Falschetikettierung und der Konsumententäuschung durch die italienische Antibetrugsbehörde zu drakonischen Bussen verurteilt wurden. Oder, dass gegenwärtig einem sich in chinesischen Händen befindenden italienischen Grossabfüller in den USA die Wucht einer gigantischen Sammelklage - ebenfalls wegen Falschetikettierung und Täuschung - ins Gesicht schlägt. Oder, dass die Medien "den Olivenölbetrug" wieder vermehrt ins Programm aufnahmen. Kassensturz, Ktipp und Patti Chiari sind lediglich drei Schweizer Beispiele daraus.
«Zu wenig Zeit,
Olivenölkontrollen
durchführen zu können.»
- Otmar Deflorin,
oberster Kantonschemiker der Schweiz
zu Kassensturz
Während die Medien um Stories kämpfen, bleibt - zumindest die Schweizer - Politik gegen "den Olivenölbetrug" untätig. Und dies obwohl es seit dem 01.01.2016 gesetzlich verboten ist, qualitativ minderwertiges Olivenöl an Konsumentinnen und Konsumenten abzugeben. Gegenüber Kassensturz sagte der Präsident des Verbandes der Kantonschemiker der Schweiz, Otmar Deflorin, das Problem sei bekannt, das Gesetz allerdings kompliziert. Um den aus Olivenölkontrollen entstehenden Aufwand zu bewältigen, hätten die Gesetzeshüter schlicht zu wenig Zeit. Mit anderen Worten, so kann man auch sagen, fehlt es an personellen Ressourcen und an know-how, um Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten vor dem allgegenwärtigen "Olivenölbetrug" schützen zu können. Ein Jahr ist seit dem Ende der Übergangsfrist zur Verordnung 817.022.105 vergangen und noch immer werden Bertolli, Carapelli, Filippo Berrio und viele andere namhafte und weniger namhafte Produkte als "Extra Vergine" verkauft, obwohl sie mit der "ersten Güteklasse" für Olivenöle nichts zu tun haben dürften, wie die jüngsten Tests (Kassensturz, Patti Chiari) zeigen. Die kantonalen Lebensmittelsicherheitsbehörden interessiert das nicht. Sie tun nichts. Auch bei begründetem Verdacht. Ich kann meinen Unmut darüber gar nicht in Worte fassen. Es ist ein Faustschlag ins Gesicht derjenigen, die sich für die Konsumentinnen und Konsumenten einsetzen. Und es ist ein Frontalangriff auf die Bürger dieses demokratischen Landes.
Es ist so, als würden die Autofahrer beim Überfahren des Rotlichts nicht mehr gebüsst, weil die Polizisten Ressourcenprobleme geltend machen. Ein spassloser Scherz. Es gibt in der Schweiz tatsächlich Gesetze, die nicht vollzogen werden. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, dass der Staat Abfüller und Grossverteiler decken will aber es verärgert mich doch ungemein, dass es in der Schweiz möglich ist, sich gegen das Wohl der Konsumenten stellen zu können, obwohl der Auftrag ja genau das Gegenteilige verlangt. Ich würde solch Illoyale Mitarbeiter auf jeden Fall entlassen. Die Strafe für die Pflichtverweigerer wird kommen. Ich bin mir sicher, dass 2017 mit Hilfe der Medien und dank des internationalen Expertennetzwerks auch die Kantonschemiker dazu gedrängt werden, endlich tätig werden zu müssen. Dem dilettantischen Spiel der Behörden muss der Riegel geschoben werden.
Ein schlechtes Jahr. Aber nicht für alle.
Das kleine Insekt, welches 2014, nach einer grauenhaften Plage in Italien, Weltbekanntheit erlangte, schlug in diesem Jahr erneut zu. Genauso erbarmungslos wie vor zwei Jahren. Wieder verliert Italien dadurch mehr als 50 % seiner Produktion, wieder soll das Öl knapp werden. Wieder sollen die Preise steigen. Wieder wird den Konsumenten im Folgejahr Ölgemisch untergejubelt. Erschwerend kommt hinzu, dass auch Griechenland in diesem Jahr unter der Olivenfliege litt. 80'000 Tonnen weniger produziert das Krisen geplagte Land nach Berechnungen des Internationalen Oliven Rates in der Erntekampagne 2016/2017. Für Olivenfliegenprophylaxen haben die Hellenen kein Geld, zuerst versorgen sie lieber Frau und Kinder, bevor sie die letzten, übrig gebliebenen Cents in ihre alten Olivenhaine stecken.
So kommt es, dass es in diesem Jahr so gut wie keine edlen Tropfen aus Griechenland gibt, lediglich zwei, drei Produkte haben mich aus der diesjährigen Ernte überzeugt. Die Inselöle aus dem Süden sowie die Öle aus Peloponnes sind mehrheitlich grauenhaft. Einige Produzenten, welche adäquate Qualitäten in Kleinstmengen produzieren könnten, dürfte es im Norden des Landes geben. Ich habe sie aber noch nicht gefunden. Es sieht ganz danach aus, als müssten wir wiederum ein Jahr lang ohne griechisches Topöl auskommen müssen.
Meine Hoffnungen ruhen wieder einmal mehr auf Spanien. Ich habe grossartige Picual-Öle gekostet. Das wohl beste kommt wiederum von Oro Bailén. Es unterscheidet sich diametral von allen anderen Picual-Extraktionen, hat eine zurückhaltende Bitterkeit und ist an Eleganz kaum zu überbieten. Ein interessantes Arbequina fand ich bei Finca La Torre aus Málaga. Es ist erstaunlich bitter und würzig. Atypisch für die sonst eher milde Öle ergebende Frucht Arbequina. Aber auch der Norden Portugals hat mich in diesem Jahr überzeugt. Hier fand ich einen Produzenten, der die Oliven in einer sehr schnell rotierenden Steinmühle bricht und den Brei danach sofort in den Malaxer sowie in den Decanter gibt. Er ist neben De Carlo aus Apulien der einzige mir bekannte Produzent, dem es gelingt, mit Steinmühlenmahlung gute Olivenöle zu erzeugen. Dieses Jahr gebe ich ihm eine wohl verdiente Chance und kaufe von seinen allerbesten Tropfen.
Und wie immer finde ich auch in der Toskana wieder Topöle. Jene von Franci oder jene von Fonte di Foiano. Das Gut bei Bolgheri wurde jüngst zum weltbesten ausgezeichnet. Riparbella aus der Maremma hat ebenfalls gute Ware. I Greppi di Silli aus dem nördlichen Chianti Classico hat mir seine besten Minilots Leccino und Leccio del Corno verkauft. In Apulien bringt es Le Tre Colonne wieder auf den Punkt. Auch in einem schwierigen Jahr macht er das weltbeste Coratina-Öl.
Auch aus Kroatien stammen einige tolle Öle. Ich versuche, ein paar gute Flaschen zu bekommen. Und endlich fand ich auch einen guten Produzenten aus Südfrankreich. Das ist nämlich schwieriger als gedacht. Die Preise sind zwar teuflisch hoch, aber was solls, die Tropfen sind sauber produziert und widerspiegeln Olivensorte und Terroir perfekt. Das soll belohnt werden.
Während die Abnehmer von Einstiegspreisölen darben, gibt es für Kenner allemal gute Tropfen zu kaufen. Insofern werden Sie und ich das Jahr gut überstehen, versprochen.
Manor läutet den Zeitenwandel ein
Während andere Grossverteiler auf einigen Olivenölen entweder deutlich an Marge verlieren, ihnen von Abfülllern und Händlern Verfügbarkeiten zusammengestrichen werden oder sie gar gänzlich auf einzelne Produkte verzichten müssen, hat es Manor beim Einkauf neuer Öle deutlich einfacher. Seit Juli 2016 ist beim viertgrössten Detailhändler der Schweiz ein krasser Olivenöl-Sortimentswechsel im Gang. Man will weg von Hochrisikoprodukten und zweifelhaften Qualitäten, hin zu echten Extra Vergine Olivenölen. Man will der erste Detailhändler sein, der ein sauberes Olivenölsortiment hat. Noch führt die Basler Handelskette Restbestände an Ölen, die in jüngsten Tests ihr Fett weg bekommen (Patti Chiari RSI über De Cecco, Bertolli, Carapelli). Manor sieht die negativen Testresultate als Bestätigung, dass der eingeschlagene Weg der einzig richtige ist. Krasse Preisaufschläge, wie sonst bei Einstiegspreisölen üblich, hat Manor dank seiner neuen Ausrichtung weniger zu erwarten. Es fällt ihm zudem leichter, flexible Wechsel innerhalb einzelner Preisgruppen vornehmen zu können. Ein ausgeklügeltes System, das sich auszahlen wird.
Es bleibt zu hoffen, dass andere Handelsketten in Europa diesen Trend in Richtung Qualität und Ehrlichkeit ebenfalls erkennen und auf den Zug aufspringen. Den Konsumenten würde es gut tun.
Ihr Master of Olive Oil
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